02.07.2008

Eine schmerzvolle Erfahrung

von Andrej Olunczek

Der letzte Wettkampf vor der Sommerpause sollte für uns noch einmal ein ganz besonderes Erlebnis werden. Der 2. Sachsen-Rogaine stand an. Dabei handelt es sich nicht um einen normalen OL-Wettkampf, sondern um eine Art Score-OL, also freie Postenwahl mit Posten unterschiedlicher Punktewertung von 30 bis 90 Punkten. Aufgabe ist es also, nicht nur möglichst viele Posten anzulaufen, sondern möglichst viele Punkte zu sammeln. Die Herausforderung war hierbei das Zeitlimit von sage und schreibe 24 Stunden in der Hauptklasse und 12 bzw. 6 Stunden in den Rahmenklassen.
Das Wettkampfgelände am Fichtelberg erstreckte sich von Antonsthal, Markersbach und Cranzahl im Norden bis Horní Blatná und Boži Dar im Süden, insgesamt ein Gelände von über 250 km˛. Das Wettkampfzentrum lag in diesem Gebiet relativ zentral in Rittersgrün.
Von TU wagte sich nur ein Team, "USV TU Dresden I" mit Andreas Lenk, Albrecht Knoblauch und Andrej Olunczek, auf die 24h. Team "ManosCombo" mit Stefan Leupold und Tom Richter versuchten sich an den 12h und "The Dresden-Prag Connection" um Anne Koch ging in der 6h-Wertung an den Start.

Schnell fragt man sich, wie man nun einen Wettkampf über 24h, ohne Schlafpause, ohne Wechsel wie beim 24h-Staffel-OL, übersteht, und, wie man so etwas plant. Schnell waren wir uns einig, dass wir kein Zelt oder sonstige Schlafutensilien mitnehmen. Lieber wollten wir während des Wettkampfes noch einmal im Wettkampfzentrum, dem so genannten "HashHouse", vorbeikommen. Dort sollte während des Wettkampfes rund um die Uhr Verpflegung zur Verfügung stehen, und man konnte nach Bedarf entscheiden, wie lange man schlafen wollte. Start war am Samstag um 12:00 Uhr, unser erstes Ziel war es bis zum frühen Abend Boži Dar zu erreichen, um dort erst mal eine gute tschechische Kneipe aufzusuchen.

Den ersten Posten ließen wir links liegen, um für das 'Finale' noch Posten in Zielnähe zu haben. Also auf zum ersten Posten, 2 km entfernt, und beachtliche 200 Höhenmeter weiter oben. Dort angekommen, hieß es erst mal, mit der Karte klar zu kommen. Diese war, um das riesige Gelände auf handhabbare Papiergröße zu bekommen, eine reduzierte grobe Wanderkarte im Maßstab 1:50.000. Postenbeschreibung war "Fels 10m, Nordfuß". Felsen gab es viele, Posten keine. Die anderen Teams hatten scheinbar mehr Glück und waren schnell aus unserem Sicht- und Hörbereich verschwunden. Nach 40 Minuten Laufzeit hatten wir dann aber auch unseren ersten Posten gefunden.
Auf dem Weg zum nächsten Posten tauchte auch schon das nächste Problem auf. Einige Posten schienen im Sumpf zu stehen, würden die Schuhe dicht und die Füße trocken halten? Es wurden schon Wetten abgeschlossen, wessen Schuhe zuerst nachgeben. Hätten wir mal nicht darüber geredet, 500m später passierte es, auf einer zugewachsenen Schneise kam es zum Unglück, der erste versank im Schlamm, die Füße waren nass, die weißen Socken schwarz, die Hose auch, Blasen vorprogrammiert. Und das wo wir noch reichlich 23 Stunden vor uns hatten.
Dafür fanden wir die nächsten Posten dann auch ohne großes Suchen. Bis zu unserem ersten 90er-Posten, ein Posten mit der höchsten Wertigkeit. Kartenbild "Bach im Sumpf, mitten im Wald", Postenbeschreibung "Bach, Waldrand" und weit und breit kein Weg. Das kann ja heiter werden. Grobe Kompassrichtung, und los ging es. Nach einiger Zeit kamen wir tatsächlich in weniger stark bewachsenes Gebiet, da konnte doch der Waldrand nicht mehr weit sein, oder? Wir mussten nur noch einen Bach finden. Zu unserem Leidwesen gab es viele Bäche, viel mehr als in der Karte verzeichnet. Wir trafen nach einigem Suchen noch andere verzweifelt suchende Gruppen um nach einigen Kartenkonsultationen und Versuchen festzustellen, das wir grade unseren eigenen Spuren folgten, und im Kreis gelaufen waren. Also fix diesen "Teufelskreis" verlassen, und siehe da, nach wenigen 100m tauchte auch aus heiterem Himmel der Posten auf.
Die nächsten Posten machten dann auch keine Probleme mehr, so das wir nach 5 Stunden Laufzeit Boži Dar fast erreicht hatten. Aber halt nur fast, kurz vor der rettenden Straße passierte es wieder. "Watsch", unter der dem hohen Grass war plötzlich wieder Sumpf, und die Schuhe wieder mal nass. Zum Glück war dann erst mal eine längere Pause. Zeit, den weiteren Verlauf zu planen, und die ersten Blasen an den Füßen zu verarzten.

Unser weiterer Plan war es nun, am Fichtelberg vorbei am östlichen Kartenrand bis nach Cranzahl zu laufen, welches wir kurz vor Mitternacht erreichen wollten, und von dort in gerader Linie zurück zum Ausgangspunkt, um zwischen 3 und 4 Uhr unser Zelt zu erreichen und ein klein wenig zu schlafen. Das war, wie sich herausstellen sollte, aber eine kolossale Fehlplanung.
Ohne große Probleme ging es um den Fichtelberg herum, die Posten waren leicht zu finden. Ein besonders schöner Felsposten mit großartiger Aussicht brachte sogar ein Gipfelbuch zutage. Dafür fingen die ersten Stellen an zu Schmerzen. Also nähe Oberwiesenthal noch fix in einer kleinen Kneipe eingekehrt. Wir waren dort nicht die einzigen 'Rogainer'. Nach kurzer Pause ging es dann, in der hereinbrechenden Dunkelheit, weiter. Es lief ganz gut, dachten wir, doch nach weiteren 3 Posten riefen die schmerzenden Füße abermals nach eine kurzen Pause, also setzten wir uns in einem kleinen Dorf an einen Bahnübergang. Ein Blick auf die Uhr, oh Schreck, schon Mitternacht, wir wollten längst in Cranzahl sein. So langsam machte sich auch Müdigkeit breit.
Auf dem Weg nach Cranzahl ging es dann richtig los, die Gelenke wurden steif, die Muskeln hart, die Füße wund. Das Konzentrieren auf die Strecke viel zunehmend schwerer. Die Schritte wurden kürzer und fielen schwerer, der Weg schien immer länger zu werden. Wir fingen an Sachen zu sehen, die nicht da waren, erschraken uns an einfachsten Dingen. Endlich erreichten wir Cranzahl, vier Stunden später als geplant. Nichts ging mehr, kein Fuß wollte mehr vor den anderen. Kraftlos sanken wir vorm Rathaus auf die Parkbänke. Liegepause. Die Kirchturmuhr läutete im Viertelstundentakt. Wir waren jetzt genau an dem Punkt der am weitesten vom Ziel entfernt war, 13 Kilometer, Luftlinie. Wie weiter? Kämpfen und durchziehen? Taxi nehmen? Nach einer halben Stunde entschieden wir uns fürs Weitermachen.

Ein Pfad sollte links der Kirche raus aus dem Dorf führen. An der Kirche angekommen, war dort nicht viel davon zusehen, außer ein offenes Tor, zum Friedhof. Wenn der Pfad durch einen Friedhof führt, warum nicht, dachten wir uns, und schlichen mit Stirnlampen zwischen den Gräbern den Hang hinauf. Oben angekommen, sahen wir unseren gesuchten Pfad, hinter einem Zaun. Unfähig und lustlos wieder nach unten und außen herum zu laufen, kletterten wir kurzerhand darüber. Der Morgen graute, die ersten Vögel fingen an zu Zwitschern. Doch schon nach 2 Posten fragten wir uns unter starken Schmerzen, ob es denn wirklich die richtige Entscheidung war, weiter zu machen. Noch 7:30 bis Zielschluss.
Doch wir gaben nicht auf. Der Plan war einfach, zurück zum Ziel, möglichst gerade Linie und nur noch wenige am Weg liegende Posten mitnehmen. Wir legten immer wieder kurze Ruhepausen ein, um für die nächsten Meter neue Kraft zu schöpfen. Wir hatten schon Sorge, ob wir überhaupt noch pünktlich wieder im Ziel ankommen. Der Schmerz betäubte die Sinne und unterdrückte die Müdigkeit. Die aufgegangene Sonne gab neu Kraft. Soviel Kraft, dass wir sogar einen sehr steilen Aufstieg von über 100 Höhenmetern wagten, und oben mit einem 70-Punkte-Posten und schöner Aussicht belohnt wurden.

Die letzten Kilometer wurden langsam, aber stetig weniger. Dafür hatten die letzten Posten noch einige Überraschungen parat. Ungeahnt eingezäunte Schneisen, falsche, nicht kartierte Wege und Felshänge, und natürlich mal wieder nasse Füße. Auch am Ende blieb uns nichts erspart. Dafür hatten wir dann doch noch reichlich Zeit. Gut 22 Stunden nach dem Start kamen wir das erste Mal wieder am Ziel vorbei. Noch 2 Stunden Zeit. Die wollten wir wenigstens nutzen, um noch den anfänglich am Start liegen gelassenen Posten zu holen. Noch einmal Kampf gegen die Schmerzen, noch einmal viele Höhenmeter, noch einmal 40 Punkte. Nach 22 Stunden und 38 Minuten war der Wettkampf dann für uns beendet. Mehr war nicht mehr drin.

1730 Punkte waren der Lohn für die Strapazen, ein 14. Platz bei 26 teilnehmenden Teams. Die Sieger hatten beachtliche 3660 von maximal 4110 möglichen Punkten, Respekt und Anerkennung für diese Leistung. Team "ManosCombo" schaffte mit 1190 Punkten einen 3. Platz in der 12h-Wertung, "The Dresden-Prag Connection" erreichte einen 10. Platz bei den 6h-Läufern.
Tut man sich so etwas nun irgendwann einmal wieder an? In der Form sicher nicht! Wenn dann mit kürzeren Runden bei schnellerem Tempo, und vor allem mindestens einer längeren Schlaf- und Ruhepause.

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