02.06.2016

Patricia schnuppert Eliteluft

von Patricia Nieke

Es ist heiß. Die Sonne prasselt nieder. Nirgendwo ist ein Wölkchen zu sehen. Vor uns erstrecken sich endlose mährische Felder. Hinter mir ist das kleine Waldstück in dem wir gerade das Lang-Modelevent absolviert haben. Ich ziehe mein Deutschlandpräsentationsshirt mit den schwarzrotgoldenen Streifen über und die Vorfreude steigt noch ein Stück weiter. Das Modelevent hat gezeigt: Es wird hart und anstrengend – und zwar für alle. So macht das doch Spaß! Das verspricht eine spannende Woche voller OL, OL und OL zu werden.

Am nächsten Morgen geht’s auch schon los. Erste Disziplin: Sprintstaffel. In der Quarantäne-Turnhalle sitze ich zwischen den ganz großen Stars und einigen bekannten Gesichtern von EYOC und JWOC und warte auf meinen Start. Nach und nach leert sich die Halle, bis nur noch die Schlussläuferinnen da sind. Nach dem Warmlaufen kommt das Signal: der Erste von den zweiten Läufern ist im Ziel. Jede Schlussläuferin kriegt ihren GPS-Tracker in die Weste gepackt und darf zum Start laufen. Dort erfahre ich zum ersten Mal, wie wir so liegen: Platz 14 – Italien und Litauen ganz in der Nähe, Polen und Norwegen haben sich schon rausgekickt – scheint also gar nicht so einfach zu sein. Da wechseln schon die ersten Teams. Ich gehe in den Startbereich. Unter den Zuschauern sehe ich Pepa und den Rest des Teams. Da kommt auch schon Marvin ins Ziel gerannt. Er sieht ziemlich feritg aus. Anstrengende Strecke? Unzufrieden? Keine Zeit weiter drüber nachzudenken. Handschlag und los zur Kartenwand. Schöne, lange Routenwahl zum 1. Posten. War ja schon bei der Vorbereitung abzusehen. Aber das! Uiuiui. Das hatte ich nicht erwartet. Die Italienerin, die in dem Moment von der Seite kommt und ein bisschen vor mir losgelaufen ist, scheinbar auch nicht. Schnell Route finden und los. Etwas zu schnell. Da war noch ein Zaun vor dem Straßenübergang. Mist. Immerhin rollte es danach. Nicht ganz so schnell wie bei der Italienerin, aber immerhin. Dass Sprintstaffeln ein Eckchen länger sind als normale Sprints, muss ich wohl noch verinnerlichen. Am Ende bin ich ganz schön platt, verpasse fast einen Posten (aha, so ging also die Disq.-Falle), eier noch ein bisschen rum und komme mit letzter Kraft ins Ziel. Immerhin unsere Platzierung gehalten. Insgesamt ist das sogar Platz 13, da auch Helena Jansson für Schweden wohl völlig grau einen Posten überlaufen hat. Passiert also auch den Besten.

Die Sprintentscheidung an Tag 2 überlasse ich den ganz Schnellen und schlafe aus. Am Nachmittag gucken wir uns gemeinsam das spannende Finale auf der Wiese hinter dem Hotel Priessnitz in Lazne Jesenik an.

Und schon ist Langdistanzqualimontag und ich stehe am Start zwischen Anni-Maija Fincke aus Finnland und Olena Pitirimova aus der Ukraine. Die Sonne brennt nach wie vor, so stark sie kann. Auf dem Rücken spüre ich den kleinen GPS-Tracker, der mir zugelost wurde (oder der Veranstalter traut mir Einiges zu). Fühlt sich an, als würde permanent jemand leicht von hinten schieben. Nett.
Was heute drin ist? Keine Ahnung. Vom Weltcup vor 3 Wochen weiß ich: das wird kein Zuckerschlecken – das ist die harte Realität und keine JWOC mehr. Egal – einfach das Beste draus machen.
Pieppieppieppieppiiieeep. Die beiden anderen stürmen los. Ich halt mich etwas zurück. Ich weiß ja, dass ich gern am Anfang Fehler mache, aber es läuft gut. Und es ist, wie erwartet, ganz schön anstrengend, allerdings weniger wegen den Höhen, sondern eher wegen der Hitze. Am Ende der langen Routenwahl, kurz vor Posten 4, muss ich stehenbleiben und durchatmen. Von der Hitze ist mir schlecht und ich kann mich nur noch mit Mühe konzentrieren. Zum nächsten Posten, der ganz in der Nähe ist, stolpere ich einfach unkontrolliert hin, etwas dran vorbei und muss wieder den Hang hochkrabbeln. Die Aktion kostet mich über 1min. Doof. Egal. Nächste Routenwahl gut gelöst, aber schon wieder knapp dran vorbei gestolpert. Vor Ärger gleich noch einen kleinen Schlenker. Noch eine Routenwahl: die starke Julia Gross im Rücken laufe ich los. Sie biegt hinter mir ins Tal ab. Ich laufe außenrum. An der anderen Talseite sehe ich sie den Hang hochkraxeln und wieder knapp hinter mir auf den Weg kommen. Ha, wer hätte das gedacht! Gleich darauf mache ich einen kleinen Parallelfehler, der mich wieder 1min kostet. Der Rest läuft, obwohl mir nach wie vor schlecht ist. Im Ziel lege ich mich in den Schatten und beobachte von da aus auf der Ergebnistafel, wie ich immer weiter nach hinten rutsche. Letztendlich rutsche ich exakt 1:23min am A-Finale vorbei. Hätte mir das vorher jemand erzählt, hätte ich ihn vermutlich ausgelacht. Das ich so dicht drankommen würde, hatte ich nicht gedacht. Jan ist zufrieden mit dem Ergebnis. Ich nicht.
Zurück im Hotel falle ich ins Bett und schlafe.
Da es mir am nächsten Tag immer noch nicht gut geht, findet das Langfinale ohne mich statt.

Zwei Tage später stehe ich auf knapp unter 1000m Höhe am Mittelqualistart im Nebel. Das Modelevent lief gut. Die Warmup-Map war wunderschön in Nebel gehüllt und versprach ein geniales Rennen.
Ich hab mal wieder keine Ahnung, was hier so drin ist. Bei der Lang war's zwar knapp, aber das hier ist Mittel und alles ist nochmal anders.
Ich atme die frische Bergwaldluft ein und laufe los. Das erste Dickicht ist doch dichter als erwartet und ich finde die ersten 2 Posten mit einer ordentlichen Portion Glück. Danach läuft's wie von allein. Im Dickicht läuft Judith Wyder in meinem Windschatten – Tempo scheint also zu stimmen. Da es größtenteils bergab geht, muss ich mich fast bremsen, um nicht an den Posten vorbeizurasen. Da ist der Lauf auch schon wieder vorbei. Zufrieden lächle ich in die Kamera von Vereinskollege Hostasek, der das ganze Event filmt. Schließlich stehen die Endergebnisse fest. – Ich hab's geschafft! Platz 16 – A-Finale! Zur Belohnung gibt’s Himbeereis. – Super!

Am darauffolgenden Tag fährt Pepa die A-Finalisten Bjarne und mich extra zur Quarantäne, die diesmal im Kulturhaus von Θerna Voda ist, weil die A-Finals erst deutlich nach den B-Finals stattfinden. Man sieht deutlich, wer hier quarantäneerprobt ist: Da werden Isomatten und Schlafsäcke ausgepackt, um noch ein letztes Mittagsschläfchen zu halten, Physio-Liegen aufgestellt, große Essensvorräte ausgepackt und viele Spiele gespielt. Ich habe vorsichtshalber ein Buch eingepackt, auf das ich mich aber, bei dem bunten Treiben um mich herum, kaum konzentrieren kann. Dann fährt auch schon mein Bus los und es folgt die inzwischen übliche Routine: Warmup-Map, Zeckenspray, GPS-Weste – und los! Am Anfang der Bahn sind die Postenabstände so kurz, dass man sich noch gar keine Route überlegt hat, wenn man schon am Posten vorbeigestolpert ist. Der Wald ist deutlich schlammiger als erwartet und als die Karte es verrät und die Sonne brutzelt auch mal wieder aus Leibeskräften. Nach ein paar Schlenkern hat mich auch schon die nach mir startende Österreicherin Anja Arbter eingeholt. Ich nutze die Chance, bleib für ein paar Posten an ihren Fersen und bewundere wie sie schnell, souverän und zielsicher durch diffuses Matsch-Geröll-Grün orientiert. An einem längeren Hang schüttelt sie mich ab. Ich brauche noch 2 Posten um die Tücken dieses Waldes zu verstehen, aber dann läuft's endlich. Das Team jubelt mir schon von Weitem zu und gibt mir noch mal Schwung für den Zielsprint. Mit einer erfrischenden Kofola in der Hand beobachte ich noch, wie die ganz schnellen Mädels – allen voran Tove Alexandersson – beeindruckende Zeiten laufen, aber auch an der Spitze kaum Eine fehlerfrei durch den sumpfigen Geröllhang kommt.

Bleibt noch die Staffel – bekanntermaßen Tschechiens Lieblingsdisziplin. Auch hier beginnt der Tag wieder mit Quarantäne. In kleinen weißen Zelten verstecken wir uns vor der Sonne und verfolgen zunächst erst mal das Herrenrennen. Irgendwie seltsam, wenn man hinter dem großen Bildschirm sitzt, nur die vagen Formulierungen vom Speaker hört und den Wechsel verfolgen kann.
Am Ende setzt sich das 2. Schweizer Team hauchdünn vor Norwegen und Tschechien (Riesenjubel) durch. Das 2., nicht das 1. – Das hat sich irgendwo ins Dickicht gestellt – wird also wieder knifflig. Die Sieger haben keine Zeit durchzuatmen und werden direkt zur Flowerceremony aufs Treppchen gescheucht und gleich danach fällt auch schon der Startschuss zum Damenrennen. Arntraut fängt bei uns an und zeigt ein Spitzenrennen! Nur 1½min hinter der Spitze zwischen lauter starken Teams übergibt sie an Dorothea. Auch sie läuft ein starkes Rennen und mit nur 2 weiteren Minuten Rückstand auf die Spitze übergibt sie an mich. Gemeinsam mit Tschechien 2, Norwegen 2 und Estland 1 starte ich in den Wald. Ein kleiner Schlenker zu Beginn und schon sehe ich nur noch Estland und Schweiz 2 nähert sich schon von hinten. Dann kommt der fiese Berg, den ich schon von der Memo-Karte kenne. Estland mit konstanten Abstand vor mir, Schweiz zieht vorbei. Dann kommt die Routenwahl – links oder rechts um den Berg? Ich entscheide mich für Links. Schweiz und Estland vor mir auch. Im Dickicht kann ich wieder ein bisschen gut machen und sauge mich an die beiden ran, die immer weiter auf der Höhe lang laufen. Ich beschließe eigentlich richtig, dass nun ein guter Zeitpunkt ist, ins Tal abzubiegen und lasse die zwei laufen. Unten angekommen, verrutsche ich im Kopf auf der Karte. Eins kommt zum Anderen. Ich norde nicht richtig ein, verwechsle zwei Wege miteinander und laufe 300m volles Rohr in die komplett falsche Richtung. Als um mich herum so gar nichts mehr stimmt und mir Norwegen 1 auf der anderen Talseite entgegenläuft, brauche ich noch eine gefühlte Ewigkeit um meinen Fehler zu begreifen. Reichlich niedergeschlagen mache ich mich wieder auf den richtigen Weg. Als ich endlich am Posten ankomme, sind auch schon Bulgarien 1 und Frankreich 1 da. Ich kann beim besten Willen nicht dranbleiben und die Motivation ist am Tiefpunkt. Blöde Kiste. Von da an hangel ich mich allein von Posten zu Posten. Es läuft, aber die Luft ist halt raus. Reichlich zerknirscht komme ich im Ziel an. Mich ärgert ordentlich, dass ich die super Leistungen meiner Vorläuferinnen so vermiest hab. Jan betont zwar, dass das Gesamtergebnis immer noch gut ist, aber zufrieden geben kann ich mich damit definitiv nicht.
Das kann so nicht stehen bleiben. Nochmal, bitte! Also in 2 Jahren zur nächsten EOC mach ich das besser! ;)

    Ergebnisse - Video mit Patricia - Wald - & Wiesen Bilder - EM-Bilder von Pepa